Praxisteil 2: gerade geführte Satzmelodie
und sprechtechnische Umsetzung
von Betonungen und Zäsuren
Die Basis - eine gerade geführte Satzmelodie
Bevor wir uns mit der sprechtechnischen Umsetzung von Betonungen und Zäsuren befassen, brauchen wir zunächst einen neutralen Hintergrund: die gerade geführte Satzmelodie auf dem leicht gestützten Atem. Das bedeutet, Sie führen oder steuern Ihren Atemstrom beim Sprechen - wie zum Beispiel beim Aufblasen eines Luftballons oder beim Ausblasen von Kerzen. Auf diesem gleichmäßigen Atemstrom werden wie auf einer sauber gewischten Tafel Betonungsimpulse, Tempowechsel und die unterschiedlichen Zäsuren deutlich erkennbar.
Zwei gute Möglichkeiten zum Ausprobieren
a) Legen Sie die Hände auf Ihren Bauch und atmen Sie ein, als würden Sie sich freudig erschrecken und in den Raum hineinlauschen. Ihr Körper ist jetzt aufrechter und die Bauchmuskeln sind leicht angespannt. Ihr Atem sucht sich jetzt einen anderen Weg. Das nennt man Atemstütze. Auf dieser Stütze wird gesprochen.
Übungstext für eine gerade geführte Satzmelodie:
Sprechen Sie diesen Absatz jetzt laut mit dieser Atemstütze. Versuchen Sie zusätzlich den Sprachfluss nach innen unten zu führen. Wenn Sie es richtig gemacht haben, sollte Ihre Stimme jetzt beim Sprechen dunkler, wärmer, voller und präsenter klingen. Durch den komprimierten Atemstrom vermeiden Sie unbewusste Melodiebögen. Bleiben Sie auch am Ende des Satzes noch für einen Moment in dieser Körperspannung, als würden Sie auf eine Reaktion oder eine Antwort warten.
Die zweite Möglichkeit
b) Legen Sie wieder die Hände auf den Bauch. Stellen Sie sich vor, jemand, den Sie mögen, steht etwa drei Meter hinter Ihnen. Erfühlen Sie dessen Gegenwart, ohne sich umzudrehen. Halten Sie die Spannung und lesen Sie nochmals den Übungstext auf der vorigen Seite laut. Richten Sie dabei Ihren Sprachfluss nach hinten. Bleiben Sie in den Sprechpausen in dieser Körperspannung, so als würden Sie nach jedem Satz nach hinten lauschen und auf eine Antwort oder Reaktion warten.
Die Gefühle des Lauschens, Staunens oder der Erwartung einer Antwort erhöhen die Spannung der Bauch- und Rückenmuskulatur und lassen Sie wacher und präsenter sein. Sie sind nicht nur im Kopf, sondern auch emotional anwesend.
Wichtig!
Eine gerade geführte Satzmelodie auf dem gestützten Atem hört und fühlt sich anders an als das normale Sprechen. Ihr Atem wird durch die Bauchspannung komprimiert. Dadurch erhält Ihre Stimme einen wärmeren, dunkleren Klang und mehr Volumen. Sie klingt jetzt zwar weniger laut, dafür aber intensiver. Für Sprachaufnahmen ist dieser komprimierte Ton ideal. Zusätzlich wird durch die gleichmäßige Sprachführung Kompetenz, Vertrauenswürdigkeit, Fürsorge oder Respekt ausgedrückt.
Probieren Sie beide Varianten und wählen Sie die, die Ihnen am meisten zusagt.
Katharina Koschny: Hörbeispiel zur gerade geführten Satzmelodie
Sprechtechnische Umsetzung von Betonungen
Eine Betonung hebt sich durch klangliche Verdichtung, Lautstärke und emotionale Intensität vom Rest des gesprochenen Textes ab.
Probieren Sie es aus:
Legen Sie die Hand auf die Brust und sagen Sie mit einem Betonungsimpuls aus dem Brustraum: „laut“.
Ihre Stimme sollte dabei heller und lauter klingen. Beim Sprechen geht der Ton gefühlt nach vorne außen - so als würden Sie etwas von sich stoßen. Die Stimme klingt laut, prägnant und klar.
Auf den Hörer wirkt diese Stimmführung distanzierter und emotional kälter. Betonungsimpulse, die mit viel Brustresonanz gesprochen werden, klingen weniger authentisch und nicht so, als würde man aus eigener Erfahrung sprechen.
Zum Vergleich legen Sie jetzt die Hand auf den Unterbauch unterhalb des Bauchnabels und sprechen von dort aus das Wort: „laut“.
Dabei sollte sich der Unterbauch nach innen bewegen und der Ton gefühlt nach innen unten gehen. Der Stimmklang wird etwas leiser, weicher, wärmer und intensiv. Versuchen Sie, den Betonungsimpuls wirklich ohne Brustresonanz zu sprechen.
Normalerweise sprechen wir eine Betonung nach vorne außen und erheben unsere Stimme, um uns Gehör zu verschaffen. So wollen wir die Distanz zum Gegenüber überwinden, damit unsere Botschaft ankommt. Doch das, was wir dabei körperlich tun, tun wir ungewollt auch auf der emotionalen Ebene: Wir stoßen etwas von uns, wir gehen emotional auf Distanz. In der Folge besteht die Gefahr, dass der Hörer nicht mehr so gern zuhört. Ein nach innen unten geführter Betonungsimpuls, der wie eine Einladung klingt, hat die besseren Chancen gehört und erinnert zu werden.
Grundsätzlich gilt - je mehr die Stimme nach vorn und außen geführt wird, desto lauter, aber auch kälter oder schneidender der Klang. Für die Intimität des Mikrofonsprechens eignet sich die nach innen unten gerichtete Stimmführung besser. So laden Sie zum Zuhören ein oder bitten um Gehör. Denn immer wenn wir sprechen, wollen wir, dass danach etwas anders ist. Auf den Punkt gebracht kann man durchaus sagen:
Sprechen ist Bitten.
Auch wenn wir dieses Bitten höchst unterschiedlich gestalten können - von hinweisen über präsentieren bis hin zu verführen oder manipulieren, von anweisen über befehlen bis hin zu bedrohen oder erpressen.
Wichtig!
Betonungsimpulse, die nach unten gesprochen werden, haben mehr Überzeugungskraft. Der Stimmklang wird dadurch zwar leiser, aber kompakter und wärmer. Beim Hören entsteht der Eindruck von Glaubwürdigkeit und Authentizität.
Stimmführung im Vergleich - probieren Sie es aus:
Sprechen Sie den Beispieltext einmal mit Brustresonanz und führen Sie dabei die Stimme nach vorne außen wie bei einer Anweisung. Dann, im Vergleich, mit der Stimmführung nach innen unten wie bei einer Einladung.
Katharina Koschny: Stimmführung und Hörerwirkung im Vergleich
Betonungsimpuls im Vergleich - probieren Sie es aus:
Sprechen Sie den folgenden Beispielsatz dreimal hintereinander und betonen Sie nacheinander jeweils nur eines der Worte „Rot“, „Grün“ und „wunderbar“.
Zunächst mit dem Betonungsimpuls aus dem Brustraum. Die Stimmführung geht dabei und nach vorne außen.
Danach, zum Vergleich, mit einem entschlossenen Betonungsimpuls aus dem Unterbauch. Die Stimme geht dabei gefühlt nach innen unten. Versuchen Sie, die Betonungen bitte unbedingt ohne Brustresonanz zu sprechen.
Beispieltext 2:
„Die Farben Rot, Grün und Blau sind wunderbare Farben im Leben.“
Ein nach vorn und außen geführter Betonungsimpuls bleibt in der Wirkung linear. Er ist inhaltlich austauschbar. Der Hörer kann kaum einen Unterschied erkennen, weil kein Anliegen spürbar wird.
Dagegen wirkt ein nach unten geführter Betonungsimpuls auf den Hörer glaubwürdiger. Es können innere Bilder und Assoziationen entstehen. Der gehörte Text klingt interessanter und wird besser verstanden.
Katharina Koschny: Betonungsimpulse - Brustresonanz und Unterbauch - im Vergleich